„Telefonseelsorge Notrufdienst, guten Abend“, hebt Antonia Keßelring, Leiterin der Telefonseelsorge Wien, den Hörer ab. Am anderen Ende der Telefonleitung ist die zögerliche Stimme eines verunsicherten Mannes zu hören. „Hallo? Ja, also ... ich dachte, ich versuch’s mal ... Ich lauf jetzt schon die ganze Nacht durch Wien … ich bin sonst ein ganz normaler Mensch ... ich weiß einfach nicht mehr weiter – haben Sie Zeit?”.
Ja, natürlich! Genau dafür ist die Telefonseelsorge unter der Notrufnummer 142 kostenlos und anonym zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar. Mehr als 96.000-mal klingelte 2023 das Telefon der Wiener Telefonseelsorge. In Wien engagieren sich mehr als 170 Seelsorgerinnen und Seelsorger, begleitet von hautberuflich Mitarbeitenden. Sie haben Zeit, ein offenes Ohr und ein offenes Herz für die Anliegen der Menschen. Nicht nur am Telefon, sondern auch per E-Mail und per Chat. Am Abend und in der Nacht rufen besonders viele Menschen an. Sie schütten ihr Herz aus, sprechen über ihre Einsamkeit, Trauer, Sucht, grausame Schicksalsschläge, erlittene Gewalt, Ängste.
So auch der aufgelöste Anrufer. Seine Freundin eröffnete ihm zu Weihnachten unter dem Christbaum, dass sie eine Beziehung mit seinem besten Freund hat. Schritt für Schritt schenkt der Anrufer der Telefonseelsorgerin Antonia Keßelring Vertrauen, findet Worte für seine Gefühle. Schritt für Schritt spürt er im Laufe des Gespräches wieder Halt und Sicherheit. Irgendwann klimpert sein Haustürschlüssel: „Ich bin jetzt wieder daheim angekommen”, sagt er. „In mehr als einer Hinsicht.”
Gespräche wie diese prägen Antonia Keßelring sehr: „Die Telefonseelsorge hat mir beigebracht, mich mit tiefem Respekt zu verneigen vor dem, was Menschen tragen müssen, ohne dass ich es ihnen abnehmen kann. Und staunen gelehrt über das Wunder der tiefen Begegnung zweier wildfremder Menschen und der heilenden Kraft, die darin liegt.“